Kirchengesetz Baselland: Stimmrecht für Frauen kann gewährt werden

Vorbemerkung: Die hier aufgegriffene Problematik betrifft weder den Kirchenaustritt noch die Landeskirchen (bei welchen in den Kirchgemeinden auch Frauen Stimmrecht haben), sondern einen antiquierten Artikel im staatlichen Kirchengesetz.

Folgender Sachverhalt wurde der Landeskanzlei (Stabsstelle von Regierungsrat und Landrat Baselland) geschildert:

Im vom Landrat des Kantons Basel-Landschaft beschlossenen Kirchengesetz (191) lautet §3 Abs.2 "Die Landes­kirchen können in ihren Verfassungen auch den Frauen und den Ausländern das Stimmrecht gewähren."
Zwar ist von kirchlicher Seite in der Römisch-katholischen Kirchen-Verfassung BL ("Stimm- und Wahlrecht besitzen alle Angehörigen der Landeskirche") den Frauen das Stimmrecht gewährt. Ebenso steht in der Evan­gelisch-reformierten Kirchen-Verfassung BL "An dieser [Anm.Kirchgemeindeversammlung] dürfen auch die Frauen teilnehmen". Es gibt zwar eine Einschränkung ("Ausländer erhalten das Stimmrecht und das aktive Wahlrecht nach einjährigem Wohnsitz in ihrer Kirchgemeinde"), aber ohne Unterscheidung von Männern und Frauen.
Frage dazu: Wäre es von der staatlichen Seite her in der heutigen Zeit nicht sinnvoll, direkt im Kirchengesetz §3 Abs.2 zu verfügen, dass Männer und Frauen gleichgestellt sind hinsichtlich Stimmrecht? Von wem könnte/dürfte eine solche Anpassung des BL Kirchengesetzes angestossen werden?

Die Finanz- und Kirchendirektion Kanton Basel-Landschaft beantwortete die Frage folgendermassen:

Die Landeskanzlei hat uns Ihre untenstehende [hier obenstehende] Anfrage zur Beantwortung weitergeleitet.
Es bestehen von Seiten der Verwaltung und des Regierungrats zur Zeit keine Bestrebungen, eine Kirchen­gesetz­revision anzugehen, in dessen Rahmen der von Ihnen geschilderte Aspekt zu regeln wäre. Daher wäre heute eine Kirchen­gesetz­revision nur durch einen parlamentarischen Vorstoss (Motion, vgl. §34 von SGS 131) zu erreichen oder denn gar durch eine Volksinitiative.

Wie der Zusenderin scheint auch mir die Antwort nicht ganz zeitgemäss. Auf eidgenössischer Ebene wurde das Frauenstimmrecht 1971 eingeführt. Als letzter Kanton führte Appenzell Innerrhoden das Stimmrecht für Frauen auf kantonaler Ebene im Jahr 1990 ein. Es scheint also wirklich wenig Grund zu geben, dass es im Kirchen­gesetz BL von staatlicher Seite her den Landeskirchen zu überlassen wird, ob die Männer (zwar nicht ausdrücklich genannt, aber jemand muss ja wohl das Sagen haben) alleine entscheiden wollen oder die Frauen einbeziehen sollen: "Die Landeskirchen können in ihren Verfassungen auch den Frauen (...) das Stimmrecht gewähren."



Bundesrat (Exekutive) und Bundesverwaltung gehörten im 20. Jahrhundert in Sachen Frauen­stimmrecht sehr lange zu den Bremsern. Es war der Nationalrat (Legislative), welcher 1958 den entscheidenden Anstoss für die erste Eidge­nössische Volks­abstimmung über das Frauen­stimmrecht gab. Nach der Ablehnung 1959 wurde in den Folgejahren immer wieder mit Motionen auf den Bundesrat Druck ausgeübt, woraus schliesslich im Jahr 1971 die Volks­abstimmung mit Ja-Resultat hervorging.

In analoger Weise betrachtet die Finanz- und Kirchendirektion das Anstossen einer Revision von §3 Abs.2 nicht als Sache des Regierungsrats (Exekutive). Gemäss der Antwort soll es auch hier das Volk richten, mit Motionen aus dem Landrat (Legislative) oder allenfalls sogar direkt über eine Volksinitiative, falls die Parteien im Parlament ebenfalls kein Interesse zeigen sollten, das Stimmrecht im Kirchengesetz für Männer und Frauen gleichberechtigt zu formulieren.

Meines Erachtens sollte sich eigentlich erübrigen, dass das Frauenstimmrecht auch hier nochmals aus dem Volk heraus erkämpft werden muss. In der Verfassung des Kantons Basel-Landschaft heisst es in §8 "Frau und Mann sind gleich­berechtigt. Kanton und Gemeinden sorgen für ihre Gleichstellung". Demnach könnte man implizit einen Auftrag sehen, dass die Exekutive eine Revision von §3 des Kirchengesetzes in Angriff nimmt.

Ich habe deshalb hierzu bei der Finanz- und Kirchendirektion Kanton Basel-Landschaft nachgefragt:

Wäre die Zusicherung von erwähntem Frauen-Stimmrecht nicht ein Rechtsnachvollzug entsprechend der Kantons­verfassung (§8 Frau und Mann sind gleichberechtigt. Kanton und Gemeinden sorgen für ihre Gleichstellung), der durch die Exekutive selber zu einer Revisionsvorlage führen sollte? oder ist es hier tatsächlich die Legislative, welche zuerst den politischen Auftrag erteilen müsste, damit es zu einer Gesetzesänderung käme?

Die Finanz- und Kirchendirektion (Fachstelle für Gleichstellung) antwortet:

Die Exekutive kann eine Gesetzes-Revision initiieren.

Die Exekutive muss demnach also keine Gesetzes-Revision initiieren. Es war offenbar ein Irrtum, dass sich aus dem Gleichstellungs-Paragraphen in der Verfassung BL ableiten liesse, dass die Exekutive eine Pflicht hätte zur Korrektur des Kirchengesetzes betreffend der Kann-Formulierung beim Frauenstimmrecht.

Es bestätigt sich also die Auskunft, dass die Exekutive keine Schritte einleiten wird zur Änderung der Bestimmung "Die Landeskirchen können in ihren Verfassungen auch den Frauen (...) das Stimmrecht gewähren" und die Legislative aktiv werden müsste:

Es bestehen von Seiten der Verwaltung und des Regierungrats zur Zeit keine Bestrebungen, eine Kirchen­gesetz­revision anzugehen, in dessen Rahmen der von Ihnen geschilderte Aspekt zu regeln wäre. Daher wäre heute eine Kirchen­gesetz­revision nur durch einen parlamentarischen Vorstoss (...) zu erreichen.



Stand Januar 2018: Zusammenfassend lässt sich also zur hier aufgegriffenen Problematik sagen: Dass die Kann-Formulierung aus dem Jahr 1950 bis heute Bestand hat, ist nicht ein Versäumnis auf Seite der Exekutive. Vielmehr ist es (gemäss Angaben der Exekutive) der Legislative anzulasten beziehungsweise entspricht dem Wunsch der Legislative, dass die Kann-Formulie­rung beim Frauenstimmrecht bis heute so beibehalten wurde.



Update Juni 2019: Von Zusenderin D.A. habe ich die Meldung erhalten, dass sie nun während den letzten anderthalb Jahren versucht hat, eine Landrätin oder einen Landrat für die Gleichstellung von Männern und Frauen im Kirchen­gesetz BL zu gewinnen. Mehr als die unendliche Langsamkeit der Schweizer Politik (Franz Hohler) ist bisher nicht zum Vorschein gekommen, immerhin ist es nicht an verstrichener Amtdauer gescheitert wie bei Nationalrat Hugo Sanders (Mani Matter), denn die betreffende Landrätin der Grünen hat es in die nächste Amtsdauer geschafft.

Anfang Juni 2018 wandte sich D.A. an die Geschäftsstelle der Grünen BL. Umgehend kam die erfreuliche Nachricht zurück eine Landrätin der Grünen werde gleich bei der ersten Sitzung nach der Sommerpause Ende August 2018 einen entsprechenden Vorstoss einreichen.

Dazu kam es jedoch nicht. Die Nachfrage von D.A. im Januar 2019 bei den Grünen ergab: die sich damit befassende Landrätin "ist an Recherchen zum Thema dran und wird sich dann nochmals melden."

Eine Meldung kam aber nicht. Ein weiteres halbes Jahr später fragte D.A. im Juni 2019 erneut bei der Geschäftsstelle der Grünen BL nach. Eine Antwort kam aber von der Geschäftsstelle nicht mehr zurück.

Auch ein zweiter Versuch von D.A. im Juni 2019, von der Geschäftsstelle der Grünen BL eine Antwort zu erhalten, bleib erfolglos.

Man muss der Grünen Partei dennoch zugute halten, dass sie immerhin den Anschein erweckte an der Gleich­stellung interessiert zu sein, zuvor kam zur gleichen Thematik von der SP BL nicht einmal eine Antwort zurück, weder von der SP Fraktions-Präsidentin im Landrat noch von der SP Geschäftsstelle.



Nach wie vor beurteile ich meinerseits die fehlende Gleichstellung im Kirchengesetz BL als Versäumnis, welches es zu beheben gilt. Deshalb werde ich selber (wie zuvor bei der Finanz- und Kirchendirektion Kanton Basel-Landschaft, siehe oben) bei den Parteien nachfragen.



Update Oktober 2019: Zur Ungleichstellung von Männern und Frauen im Kirchengesetz Baselland ist am 15.10.2019 ein Artikel in der BZ erschienen, siehe Link unten.

Bei den Volksvertretern im Baselbieter Landrat war eine verbreitete Unlust feststellbar sich für die Gleichstellung im Kirchengesetz einzusetzen:
• SP BL: keine Antwort (weder von Fraktionspräsidentin noch SP Geschäftsstelle)
• Geschäftsstelle Grüne BL: "Florence Brenzikofer, Landrätin für die Grünen, nimmt sich der Frage gerne an und wird einen entsprechenden Vorstoss im Landrat einreichen. Die nächste Sitzung ist am 30. August 2018"
• SVP BL: keine Antwort
• FDP BL: keine Antwort

Überraschend war die Abwendung von der Thematik bei der Grünen Partei nach dem anfänglichen Tatendrang im Juli 2018. Im Wissen, dass es ohnehin demnächst eine Änderung des Kirchengesetzes geben wird, hatte Florence Brenzikofer offenbar die Absicht, effizienterweise den aufwändigen Änderungs-Prozess nicht nur für die Vereinfachung der Kirchgemeinde-Fusionen zu nutzen, sondern gleichzeitig auch noch die Gleichstellung betreffend Stimmrecht festzuhalten.

Dass Landrätin Florence Brenzikofer den geplanten Gleichstellungs-Vorstoss fallen liess, hat gemäss dem jetzt erschienen BZ-Artikel offenbar mit dem Fraktions-Partner EVP zu tun. Die EVP-Landrätin Andrea Heger wird in der BZ so zitiert:

Es geht zu weit, wenn der Kanton den Kirchen sagt, sie dürften kein reiner Männerklub sein.

Die Gleichstellung von Mann und Frau im Kirchengesetz hat es also nicht nur wegen passiver Lustlosigkeit der Volksvertreter nicht in die kürzlich verabschiedete Kirchengesetz-Revision geschafft, sondern es ist darauf zu schliessen, dass die EVP Untätigkeit verordnet hat nach dem Motto "Es geht zu weit, wenn der Kanton den Kirchen sagt, sie dürften kein reiner Männerklub sein".

Wäre die Kirche als "Klub" oder Verein organisiert, so könnte man Landrätin Andrea Heger zustimmen. Das ist aber falsch, steht doch im Kirchengesetz BL in §1: "Die Landeskirchen und ihre Kirchgemeinden sind öffentlich-rechtliche Körperschaften". Im "Klub" dabei zu sein ist folglich nicht freiwillig, sondern alle Konfessionsangehörigen im Gebiet sind automatisch zugehörig und den Landeskirchen steht das hoheitliche Recht zu, von natürlichen und von juristischen Personen Kirchensteuern einzuziehen. Und rund 10 Millionen Franken jährlich erhalten die Landeskirchen im Kanton Baselland noch obendrauf als Beiträge von staatlicher Seite. Von Männer-Jassklubs oder was immer Frau Heger mit "Klubs" suggerieren wollte, kann man bei den öffentlich-rechtlich anerkannten Landeskirchen jedenfalls gewiss nicht sprechen. (PS: Nicht zu verwechseln mit dem Männer-Klerus. Entsprechend der religiösen Freiheit gibt es keine Verpflichtung für die Römisch-katholische Kirche, für die Frauen eine Art "Ersatz-Weihe" zu erfinden, wenn die traditionelle Weihe bei Frauen nicht angewendet werden kann.)



Update Februar 2020:

Im Zusammenhang mit der antiquierten Formulierung im Beschluss des Regierungsrats zum Kirchenaustritts-Verfahren, habe ich die Chance genutzt nochmals auf die Frauenstimmrechts-Problematik im Kirchenrecht des Kantons Baselland hinzuweisen. Mangels Antwort ist aber unklar, ob und wann allenfalls dieses Versäumnis angegangen wird. Nun, die Baselbieter sind halt wohl wirklich etwas eigen.



Externer Link ◽ Kirchengesetz des Kantons Basel-Landschaft:
▶ 191 Kirchengesetz BL ; bl.clex.ch

Externer Link ◽ Verfassung des Kantons Basel-Landschaft:
▶ 131.222.2 Verfassung BL ; admin.ch

Externer Link ◽ BZ Basellandschaftliche Zeitung:
▶ Bleiben für die Kirchen freiwillig: Gleiche Rechte für Frauen ; bzbasel.ch